Zusammenfassung von Kapitel 9
„Prägende Jugendzeit“
Die meisten Interviewpartner kamen aus der Mittelschicht. Es war ihnen nicht in die Wiege gelegt, dass sie später einmal sehr reich werden würden. Auffällig ist jedoch, dass die Eltern von 60 Prozent der Interviewpartner selbstständig waren; damit war ihr Anteil zehnmal so hoch wie in der deutschen Gesamtbevölkerung. Die Eltern waren häufig Unternehmer, kleine Selbstständige oder Landwirte – meist nicht reich, aber eben nicht in abhängiger Tätigkeit beschäftigt. Dadurch hatte es für die Kinder und Jugendlichen etwas Selbstverständliches, dass sie später selbstständig wurden. Die anderen zwei Fünftel der Eltern waren Angestellte oder Beamte, nur zwei waren Arbeiter.
Nicht zu unterschätzen sind Vorbilder außerhalb des Elternhauses: Begegnungen mit reichen Eltern von Freunden, reiche Verwandte, Mitschüler auf dem Internat oder Reiche in der Nachbarschaft beeindruckten manche der später Hochvermögenden mit ihrem Lebensstil. Und dennoch nahm sich kaum einer in der frühen Jugend vor, später einmal Multimillionär zu werden. Die Berufswünsche der später Hochvermögenden unterschieden sich nicht sehr von denen anderer Kinder und Jugendlicher.
Die soziale Rekrutierung der Vermögenselite unterscheidet sich ganz erheblich von jener der Wirtschaftselite, wie sie bislang untersucht wurde. Während die Eltern von Spitzenmanagern in Großunternehmen überwiegend aus dem Großbürgertum kommen und der Habitus für ihre Karriere eine wichtige Rolle spielte, verliefen die Selektionsprozesse, um in die Vermögenselite zu gelangen, anders. Auch die Schul- und Universitätsausbildung spielte nicht die entscheidende Rolle.
Die meisten Interviewpartner haben zwar eine gute Schul- und Universitätsausbildung. Aber das unterscheidet sie nicht von vielen anderen. Ihre Leistungen waren meist eher mittelmäßig. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Leistungen in der Schule und an der Universität und dem Reichtumsgrad, den diese Personen erreichten. Diejenigen, die in der Schule oder an der Universität Spitzenleistungen vollbrachten, gehörten später eher nicht zur absoluten Spitze der Hochvermögenden. Ein Drittel derjenigen, die später sehr reich wurden, hatte nicht studiert, immerhin jeder Siebte machte nicht einmal Abitur.
Die Theorie des informellen Lernens geht davon aus, dass etwa 70 Prozent aller menschlichen Lernprozesse außerhalb der Bildungsinstitutionen stattfinden678. Und die Theorie des impliziten Lernens besagt, dass Lernprozesse oft unterbewusst und nicht bewusst gesteuert verlaufen. Das kann durchaus auch in Bildungsinstitutionen geschehen. Viele später Hochvermögende waren rebellisch. Sie lernten in der Schule, Konflikte auszufechten, sich gegen herrschende Normen und Verhaltensvorschriften zu stellen und gegen Autoritätspersonen durchzusetzen. All dies kam ihnen später im Leben zugute und war bereits ein Vorzeichen ihres Nonkonformismus und ihrer Fähigkeit, gegen den Strom zu schwimmen, die später für viele als Unternehmer charakteristisch werden sollte (vgl. Kapitel 19.). Oder sie lernten, Verantwortung zu übernehmen. So berichteten Interviewpartner häufiger, dass sie Klassen- oder Schulsprecher waren, Schülerzeitungen herausgaben oder politische Initiativen organisierten.
Wichtiger waren jedoch die Tätigkeiten außerhalb der Schule. Bis auf wenige Ausnahmen waren alle Interviewpartner entweder weit überdurchschnittlich ambitionierte Breiten- oder gar Leistungssportler oder sie verdienten Geld auf ungewöhnliche, unternehmerische Art. Nur für sechs der 45 Hochvermögenden traf keines von beiden zu. Mehr als die Hälfte der Interviewpartner betrieb als Schüler Leistungssport. Meist war für sie der Sport wesentlich wichtiger als die Schule. Als Sportler lernten sie, mit Siegen und Niederlagen umzugehen und sich gegen Konkurrenten durchzusetzen, sie erwarben eine Frustrationstoleranz und entwickelten Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit. Die Mannschaftssportler lernten Teamfähigkeit. Aber die meisten Interviewpartner waren keine Mannschaftssportler, sondern »Einzelkämpfer«. Sie waren beispielsweise Leichtathleten, Skisportler, Reiter, Schwimmer, Tennisspieler oder Judoka. Sie erreichten durchaus beachtliche Leistungen, siegten auf Bezirks- und Landesebene oder nahmen gar an deutschen Meisterschaften teil. Aber irgendwann erkannten sie, dass ihnen im Sport die genetischen Voraussetzungen fehlten, um wirklich an die absolute Spitze zu gelangen. Andere wurden durch Verletzungen gezwungen, ihre sportliche Karriere zu beenden.
Auffällig ist die Art, wie die später Hochvermögenden neben Schule und Studium Geld verdienten. Typische Schüler- und Studentenjobs, bei denen man für einen Stundenlohn arbeitet, waren die Ausnahme. Schaut man auf die vielen Ideen und Initiativen, dann wird eine ungeheure Kreativität deutlich. Sie verkauften alles, von Kosmetikartikeln bis Wohnwintergärten, von gebrauchten Felgen bis zu Autowaschanlagen, von gebrauchten Autos und Motorrädern bis zu Versicherungen und geschlossenen Fonds, von selbst gezüchteten Tieren bis zu Schmuck, selbst gebastelten Radios oder gebrauchten Autoradios. Ohne Zweifel waren diese Erfahrungen prägend für die jungen Menschen, die später Unternehmer wurden. Sie lernten zu organisieren, zu verkaufen, unternehmerisch zu denken. Sie lernten dabei – oft unbewusst – und erwarben jenes implizite Wissen, das für erfolgreiche Unternehmer und Investoren so große Bedeutung hat. Und die frühen unternehmerischen Erfahrungen waren die beste Vorbereitung für die spätere Selbstständigkeit.
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